Das „Zu viele Köche verderben den Brei“-Syndrom

Von Dr. Suneel Dhand

Eine neue Epidemie erfasst amerikanische Krankenhäuser, und ein Heilmittel wird verzweifelt gesucht. Es ist hoch ansteckend und führt bei Infizierten zu starken Angstzuständen und psychischen Leiden. Es kostet das Gesundheitssystem Millionen, wenn nicht Milliarden von Dollar pro Jahr. Sie haben womöglich noch nie davon gehört. Man findet es weder in medizinischen Lehrbüchern noch sprechen die großen Lehrmeister der Medizin darüber. Es hat einen merkwürdigen Namen: Das „Zu viele Köche verderben den Brei“-Syndrom. Zugegeben, es handelt sich nicht wirklich um eine Krankheit im medizinischen Sinne und es hat seine Wurzeln nicht in der Biologie des menschlichen Körpers. Doch es kann sich auf den Einzelnen stark hinderlich und störend auswirken, und es betrifft jedes Jahr vor allem Hunderttausende von Krankenhauspatienten. Fragen Sie irgendeinen Mediziner an der Front – er sieht es tagtäglich auf den Krankenhausfluren in Aktion.

Das Szenario sieht ungefähr wie folgt aus: Ein Patient wird ins Krankenhaus aufgenommen, und aufgrund der Komplexität seiner Erkrankung wird er letztendlich zu mehreren verschiedenen Fachärzten geschickt. Früher wurde man hierzulande noch vom Hausarzt im Krankenhaus besucht. Heute jedoch werden Patienten einem krankenhausinternen Allgemeinarzt zugewiesen, dem hospitalist. Das Problem ist, dass dieser hospitalist sie vorher noch nie gesehen hat und daher ganz von vorne anfangen muss. Je nach Fall werden möglicherweise weitere Fachärzte in die Behandlung einbezogen, etwa Chirurgen, Kardiologen, Pulmonolgen, Nephrologen, Gastroenterologen – nennen Sie sie, wie Sie wollen! Doch aufgrund der geschäftigen Atmosphäre im Krankenhaus findet oft nur sehr wenig direkte Kommunikation zwischen diesen verschiedenen Ärzten statt. So ist es fast schon die Regel, dass ein Spezialist dem Patienten etwas sagt (z. B. „Das Problem ist definitiv Ihr Herz“) und ein anderer Facharzt eine Stunde später etwas völlig Anderes behauptet („Das Hauptproblem ist ganz klar Ihre Lunge“!). Der hospitalist wird zwischendurch nicht zwangsläufig regelmäßig darüber informiert, wie gerade mit dem Patienten verfahren wird, welche neuen Medikamente ihm verabreicht werden,  regelmäßige Meldungen darüber, und wie sich die Behandlungsstrategie möglicherweise geändert hat. Und obendrein ist der Patient auch noch überfordert mit den Aussagen so vieler verschiedener Ärzte!

Die soeben geschilderte Situation spielt sich tagtäglich überall im Land ab und steht symbolisch für ein viel größeres Problem – die Zersplitterung des Gesundheitssystems. Sie beeinträchtigt die Patientenzufriedenheit und Krankenhauserfahrung und sorgt zugleich für viel Frustration und Missverständnisse. Wie lautet nun die Lösung? Ein guter Anfang wäre es, absolute Klarheit darüber zu schaffen, wer während des Krankenhausaufenthaltes der „Kapitän auf dem Schiff“ ist. Das ist (für Patienten) üblicherweise der hospitalist. Als nächsten Schritt müsste man sicherstellen, dass jeder Facharzt, mit dem der Patient Kontakt hat, weiß, wer dieser Primärarzt ist (und dies auch dem Patienten noch einmal klarmacht) und diesem seinen Behandlungsplan umgehend mitteilt. Dies sollte kein langwieriger Prozess sein und könnte in Form einer einfachen Textnachricht erfolgen. Anschließend müsste man die hospitalists ins Boot holen, um als „Kapitän auf dem Schiff“ die Zügel in die Hand zu nehmen – auch wenn in den meisten Fällen ein Spezialist eine Behandlung anordnet, z. B. wenn ein Patient operiert werden soll. Außerdem sollten diese Ärzte genügend Zeit haben, um diese Rolle zu übernehmen. Daher ist es wichtig, dass sie selbst nicht mit einer hohen Arbeitsbelastung überfordert sind.

Die Patienten sollten wissen, wer ihr federführender Arzt im Krankenhaus ist – also der zentrale Anlaufpunkt – um sich in guten Händen zu wissen und immer einen Ansprechpartner zu haben. Es können zwar viele Ärzte an der Behandlung beteiligt sein, aber es kann nur einen „Koch“ geben. So lässt sich das „Zu viele Köche verderben den Brei“-Syndrom vermeiden.

Der Originalartikel wurde veröffentlicht auf http://suneeldhand.com/2015/10/13/too-many-cooks-in-the-kitchen-syndrome/

Dr. Suneel Dhand ist Allgemeinarzt. Sein persönlicher Blog ist zu finden auf www.suneeldhand.com.